Stephanie Dinkins, Jon Lomberg, Reiner Maria Matysik, Ana Rajcevic
AFTER LIFE
19. Juni – 29. August 2021

Wo beginnt und wo endet menschliches Leben? Mit der Ausstellung AFTER LIFE zeigt der Kunstverein Arnsberg diesen Sommer Arbeiten von vier internationalen Künstler*innen, die Spekulationen über die Gestalt und das Habitat menschlicher und hybrider Lebensformen in naher und ferner Zukunft anstellen.

 

Die Arbeiten des US-amerikanischen, zwischen Kunst und Astronomie agierenden Künstlers Jon Lomberg sind dabei erstmals im deutschen Kunstkontext zu sehen. Im Fokus steht Lombergs gestalterische und redaktionelle Arbeit als Design Direktor für die Voyager Golden Records. Die vergoldeten Kupferschallplatten reisen seit 1977 als wohl umfangreichste Nachricht der Menschheit an extraterrestrische Lebewesen mit den Voyager-Raumsonden durchs All. Unser Sonnensystem haben die Records – die von dem populären Astrophysiker Carl Sagan verantwortet wurden, mit dem Lomberg bis zu dessen Tod eine enge Freundschaft und Zusammenarbeit verband – heute längst verlassen. Wird eine intelligente Spezies eines Tages die mit Bild- und Toninformationen bespielten Platten entdecken, könnte sie sich unter anderem einen Eindruck von der Entstehung des Lebens auf der Erde, von der Menschheit, ihren wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften sowieihrer Musik verschaffen. In der Ausstellung werden neben freien Arbeiten des Künstlers zwei weitere, eng mit wissenschaftlichen Missionen verknüpfte Projekte präsentiert, an denen Lomberg maßgeblich beteiligt war: Die Sonnenuhren MarsDial, die mit den Mars-Rovern Opportunity, Spirit und Curiosity auf den roten Planeten kamen, sowie die DVD Visions of Mars, die 2008 ebendort mit der Raumsonde Phoenix landete. Beide enthalten Informationen und Botschaften für die zukünftigen Bewohner des Planeten, die sehr wahrscheinlich kommende, raumfahrende Generationen und demnach im wahrsten Sinne des Wortes ‚Mars-Menschen‘ sein werden.


Während die von Lomberg mitgestalteten Projekte auf die Kommunikation mit extraterrestrischen, intelligenten Lebewesen oder mit einer raumfahrenden, menschlichen Spezies ausgerichtet sind, konzentriert sich die international agierende, US-amerikanische Künstlerin Stephanie Dinkins auf eine andere zukunftsweisende, technische Lebensform, die nicht weniger an Science-Fiction erinnert: Dinkins arbeitet mit Künstlicher Intelligenz. Im Kunstverein ist nun ein Fragment aus ihrem fortlaufenden Projekt Conversations with Bina48 zu sehen, das die Künstlerin im Dialog mit einem der am weitesten entwickelten, intelligenten und sozialen Roboter zeigt. Seit 2014 zeichnet sie ihre Gespräche mit BINA48 (Breakthrough Intelligence via Neural Architecture, 48 exaflops per second) auf, in denen auch philosophische Themen wie Identität und der Sinn des Lebens zur Sprache kommen. Die Künstlerin analysiert die Technologie in Hinblick auf ihre gesellschaftspolitischen Implikationen und Potenziale. Eine Gefahr sieht Dinkins unter anderem in der technischen Reproduktion der strukturellen Benachteiligung von Minderheiten, die – wird ihr nicht bereits im Entwicklungsstadium der Technologie entgegengewirkt – auch eine Gesellschaft künstlicher Intelligenzen und damit unsere Zukunft bestimmen könnte.


Die Arbeiten der serbischen Künstlerin Ana Rajcevic konzentrieren sich hingegen auf das visuelle Erscheinungsbild ferner Generationen: Die Skulpturen der Serie ANIMAL : The Other Side of Evolution (2012) und Taurus (2016), die wie Schmuck getragen werden können, verstehen sich als Entwürfe für eine mögliche Evolution des Menschen. Rajcevic kombiniert Kunst und Design mit Erkenntnissen aus der Biomedizin, Geschichte, Materialwissenschaft und Psychologie. Ihre prothetischen Körperskulpturen (prosthetic body sculptures) aus biologischen und synthetischen Werkstoffen deuten dabei eine Zukunft an, in der sich der Mensch an sein natürliches, das heißt, längst technisiertes und klinisches Umfeld angepasst hat. Diese Vision wird auch in den Fotoarbeiten der Künstlerin evident: Die Gleichförmigkeit der neuen, perfektionierten Körper wird allein durch skulpturale, an Tiere erinnernde Verlängerungen unterbrochen: schnabelförmige Fortsätze oder Behörnungen werden zu letzten Hinweisen auf Individualität. 


Der in Duisburg geborene Künstler Reiner Maria Matysik entwirft schließlich Hypothesen über ganz und gar neue Formen des Menschseins. Seine aus Wachs modellierten Plastiken der Werkserie beyond human (seit 2010) lassen sich als konsequente Weiterführung eines heute nahezu unvorstellbaren Gedankens verstehen: Braucht es den Körper, wie wir ihn kennen, um Mensch zu sein? Indem Matysik Skulpturen schafft, die auf das Körperinnere und Organe referieren, und sie sophie, giuseppe, frida, eva oder magdalena tauft, formuliert der Künstler auf diese Fragestellung ein klares ‚Nein‘. Allein die Beschaffenheit und Farbe erinnern an Haut und damit an das konventionelle äußere Erscheinungsbild des Menschen. Matysiks künstlerische Technik verweist schließlich ebenso wie seine fotografischen Nahaufnahmen der Skulpturen (close up, 2011) auf bildgebende Verfahren aus der Medizin: Wachsmodelle wurden im 19. Jahrhundert unter anderem in der Dermatologie genutzt, um Krankheitsbilder für die Forschung festzuhalten. Auch die Fotoarbeiten rufen Aufnahmen aus dem Körperinneren, wie sie beispielsweise bei Endoskopien anfertigt werden, in Erinnerung. In der Ausstellung zeugen darüber hinaus weitere Plastiken und Zeichnungen von Matysiks Werkkonvolut – einer umfangreichen Sammlung von Prototypmodellen hybrider, postevolutionärer Lebensformen, die der Künstler seit den 1990er Jahren entwirft.

 

Parallel zur Ausstellung im Kunstverein wird im Lichthaus Arnsberg in Kooperation mit dem Kulturbüro der Stadt Arnsberg und im Rahmen des Arnsberger Kultursommers die installative Solo-Präsentation ++ o ++ von Reiner Maria Matysik gezeigt. Auf abstrakter, bildhauerischer Ebene  behandelt der Künstler dabei den Einfluss des Menschen auf den Kreislauf der Natur und die daraus resultierenden Konsequenzen.

 

Kuration & Text: Lydia Korndörfer

 

Jon Lomberg, Porträt der Milchstraße, Acryl auf Leinwand, 101,6 cm x 68,58 cm, 1992 © Der Künstler, 2018